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Warum Zielvereinbarungen Verantwortung zerstören

Aktualisiert: 11. Nov.

Zum Jahresende treten sie wieder auf den Plan und füllen die Kalender: Zielgespräche, Review-Meetings, neue Kennzahlenvereinbarungen. Führungskräfte und Mitarbeiter verhandeln Ziele, Boni und Prioritäten – in der Hoffnung, Orientierung zu schaffen und dem kommenden Jahr Struktur zu geben. Doch was, wenn dieses Ritual mehr schadet als nützt?


Wie ist das bei Ihnen? Gehören Zielvereinbarungen fest zum Führungskanon in Ihrem Unternehmen? Haben Sie Spaß an der Festsetzung von Zielen für Ihre Mitarbeiter oder sind Sie froh, wenn dieser Akt erledigt ist und Sie die nächsten

11 ½ Monate Ruhe vor diesem leidigen Thema haben? Und sind Sie auch in der Situation, Ziele für Ihre eigene Entwicklung im kommenden Jahr festsetzen zu müssen?


Zielvereinbarungen sollen Klarheit bringen, führen aber allzu oft nur in Sackgassen, aus denen die Beteiligten kaum mehr herausfinden. Schauen wir uns genauer an, was Zielvereinbarungen konkret bewirken sollen und ob sie das auch tun.


  1. Zielvereinbarungen sollen dem Management Planungssicherheit und den Mitarbeitern Orientierung geben und ihnen vermitteln, worauf sie sich im kommenden Jahr konzentrieren sollen. Der Blick in die Zukunft und der Wunsch, diese durch gesetzte Ziele plan- und kontrollierbar zu machen, ist verständlich. Jedoch verändern sich Märkte mittlerweile annähernd täglich, sodass schnelles Reagieren und Umsteuern wichtiger sind als stures Auf-ein-Ziel-hinarbeiten. Wer sich den Luxus gönnt, sein Arbeitsjahr schon durchzutakten und mit To-dos zu füllen, bei denen heute gar nicht absehbar ist, ob sie übermorgen noch sinnvoll sind, lebt nicht in der wirtschaftlichen Realität und lässt keinen Raum für wertvolle Marktchancen, die sich oft kurzfristig ergeben.

    Wissen wir tatsächlich heute schon, welche Probleme und Bedürfnisse unsere Kunden in den nächsten 12 Monaten haben werden? Können wir abschätzen, in welchem Ausmaß und welcher Richtung sich die Rahmenbedingungen im nächsten Jahr verändern? Und können wir unseren Mitarbeitern nicht zumuten, sich mit der Unplanbarkeit zu arrangieren, so wie wir es auch tun müssen? Indem wir ihnen Verantwortung und damit Handlungsspielräume geben, haben sie die Möglichkeit, selbstwirksam zu sein und Veränderungen aktiv mitzugestalten. Und das wirkt besser gegen Zukunftsängste als jede noch so akribisch geschmiedete Zielvereinbarung.


  2. Zielvereinbarungen sollen Mitarbeiter an das Unternehmen binden, ihnen das Gefühl geben, mitzuentscheiden und dadurch Motivation erzeugen, insbesondere wenn sie ihre Ziele mitbestimmen können. Diese Sichtweise setzt voraus, dass Mitarbeiter von außen motiviert werden müssen, damit sie ihre Arbeit verrichten. Und es bedingt, dass wir jedes Mal eine neue Rübe vor ihre Nasen hängen, damit sie überhaupt loslaufen. Damit verneinen wir, dass Menschen ihre Arbeit freiwillig gerne verrichten und in der Lage sind, sich einem Unternehmen aus freien Stücken anzuschließen. Und warum sollen sich Mitarbeiter dem Unternehmen durch Zielvereinbarungen verbundener fühlen? Entsteht echte Verbundenheit nicht durch Gemeinschaft, Verantwortung und Vertrauen anstatt durch das Vorgaukeln von Mitspracherechten?


  3. Zielvereinbarungen sollen objektive Kriterien liefern, um Leistung zu bewerten und variable Vergütung zu rechtfertigen. Was erstmal gut und fair klingt, ist bei genauerem Hinsehen nur ein Drill in Richtung Kennzahlenkonformität. Anstatt den Markt und damit den Kunden zu beobachten und eigene Erkenntnisse und Handlungen daraus abzuleiten, wird beharrlich an der Beschäftigung mit Kennzahlen festgehalten, damit nur alles messbar, objektiv und vermeintlich fair bleibt. Was der Kunde am Ende von internen Leistungsbewertungen und variablen Vergütungen hat, beantworten Zielvereinbarungen nicht.


  4. Zielvereinbarungen sollen dem Mitarbeiter die Möglichkeit geben, sich zu entwickeln und zu wachsen. Glauben wir wirklich, dass Mitarbeiter bessere Mitarbeiter werden, nur weil sie Ziele verordnet bekommen? Echte Weiterentwicklung und Wachstum erfährt ein Mitarbeiter nur, wenn er Verantwortung tragen und die Ergebnisse seiner Handlungen spüren darf, im positiven wie im negativen. Ein Gespräch über verordnete Ziele und deren Erfüllungsgrad können das nicht ersetzen.


Zielvereinbarungen können mehr


Zielvereinbarungen können noch mehr, allerdings immer mit unerwünschten Folgen.


Sie nehmen den Mitarbeitern die Freiheit, selbst zu entscheiden, ob und wohin sie sich entwickeln. Keine Zielvereinbarung abzuschließen, gilt als Arbeitsverweigerung. Sie ist vielerorts ein unausgesprochener Zwang und auf die Frage, ob man es den Mitarbeitern freistellt, Zielvereinbarungen zu schließen, erntet man in den Führungsetagen erstaunte Blicke und Plattitüden wie „Menschen brauchen doch Ziele. Bei uns muss sich jeder entwickeln.“. Man wiegt sich in einer Pseudosicherheit, dass man ein vorwärtsgewandtes Unternehmen ist, das seinen Mitarbeitern Entwicklungschancen einräumt und Stillstand vermeidet, schließlich hat man ja Ziele für alle. Unbemerkt von den Entscheidern bleibt meist, dass aufgedrängte Ziele keinen echten Nutzen haben und den Mitarbeitern unter der Hand mitteilen, dass ihre Arbeitsergebnisse nicht gut genug sind. Würden sie ohne Zielvereinbarungen orientierungslos über die Büroflure stolpern oder schläfrig in ihren Bürostühlen vor sich hindämmern? Wohl kaum.


Ebenso unbemerkt hält mit Zielvereinbarungen der Abschied vom Sinn der Arbeit Einzug, vor allem, wenn eine Bonusvereinbarung hintan gehängt wird. Ohne Zielvereinbarungen ist Arbeit ein Mittel zum Zweck des Gelderwerbs und oft genug auch Selbstzweck, einfach weil es Spaß macht, einer Aufgabe nachzugehen. Durch Zielvorgaben verschiebt sich der Schwerpunkt weg von der Arbeit hin zur Zielerfüllung. Man arbeitet nur noch, um sein Ziel zu erreichen. Und danach braucht es ein neues, denn das entstandene Sinnvakuum muss gefüllt werden. Kommt noch eine Bonusvereinbarung hinzu, rückt der Schwerpunkt weg von der Zielerreichung hin zum Füllen des eigenen Portemonnaies. Die Freude an der Arbeit wird dadurch unnötigerweise verraten und verkauft.


Auch in Punkto Langfristigkeit bewirken Zielvereinbarungen nichts Gutes. Denn wer nur von Ziel zu Ziel oder von Bonus zu Bonus springt, denkt nicht längerfristig. Stattdessen wird nur kurzzeitiger Aktionismus erzeugt, der genau bis zum Ziel hält und dann in sich zusammensackt.


Zielvereinbarungen sind kundenfeindlich. Sie stellen nicht den Kunden und seine Anliegen in den Mittelpunkt, sondern Kennzahlen und Umsatzvorgaben. Dass der Kunde dann nur noch Mittel zum Zweck der Erfüllung dieser Zahlen und Vorgaben ist, liegt auf der Hand.


Einzelkämpfertum ist bei Ihnen unerwünscht? Dann sollten Sie Zielvereinbarungen abschaffen, denn sie befeuern genau das. Worauf fokussiert man sich, wenn man individuelle Ziele vereinbart hat? Auf genau diese. Nicht auf Teamwork und gemeinsames Voranschreiten. Und erst recht nicht auf die Ziele der Kollegen. Das gleiche gilt für Abteilungsziele. Sie spalten erst unsichtbar, später dann fühl- und sichtbar alle Abteilungen voneinander ab. Echte Zusammenarbeit zum Wohl des Kunden und des Unternehmens findet kaum mehr statt.


Zielvereinbarungen schaffen Beschäftigung, die keinem nützt. Sie und Ihre Mitarbeiter müssen Ziele festlegen und dokumentieren, später auswerten und erneut dokumentieren. Zwischengeschaltete HR-Abteilungen beschäftigen sich ebenfalls mit den Zielvereinbarungen und das alles, ohne dass es für das Unternehmen auch nur einen Millimeter vorwärts geht. Sind die Ziele auch noch aus den Fingern gesaugt und ohne bedeutenden Bezug zum Unternehmen und den Kunden, kommt die Zeit, die zur Zielerreichung aufgewendet wird, noch hinzu. Ein Zeitverbrennungsofen entsteht.


Zu guter Letzt verhindern Ziele die Übernahme von Verantwortung. Wer seine Ziele erfüllen muss, weil es so entschieden wurde und ein grundsätzliches Ablehnen nicht vorgesehen ist, lernt Gehorsam und fügt sich. Er übernimmt Aufgaben, Verantwortung jedoch nicht. Wer Ziele für andere festsetzt, trägt deren Folgen nicht, denn die Verantwortung für die Erfüllung liegt nicht bei ihm.



Sinnvolle Ziele


Wenn Zielvereinbarungen weitgehend nutzlos sind, sind Ziele es dann auch?


Nein, sinnvolle Ziele sind für jedes Unternehmen wichtig. Sie dienen der Steuerung des Unternehmens und leiten sich aus dem Marktgeschehen ab. Sie richten sich am Kunden und am Ergebnis aus. Sie entstehen nicht aus Ritualen, sondern aus Entscheidungen, die getroffen werden: Wir wollen X, deshalb tun wir Y. Sie lassen Spielräume für die, die sie umsetzen, indem sie klar benennen, was erzielt werden soll, aber nicht, wie das Ziel erreicht werden muss. Und sie werden laufend an den Markt, geänderte Rahmenbedingungen oder neu gewonnene Erkenntnisse angepasst, anstatt starr auf ihre Erfüllung zu pochen.


Alle anderen Ziele, also all jene, die keine betriebswirtschaftlichen Konsequenzen auslösen, der Beurteilung anstatt der Wertschöpfung dienen oder sich nur aus der Pflichterfüllung heraus begründen, haben keine Daseinsberechtigung.


Wäre es dann nicht sinnvoll, Mitarbeiter als mündige Leistungspartner anzusehen und Ziele nur dort anzusetzen, wo sie zur Erfüllung einer Aufgabe tatsächlich nötig sind? Und dann lässt man die Mitarbeiter einfach arbeiten, denn sie haben ja erfahren – und verstanden -, warum das ausgerufene Ziel dem Unternehmen einen Mehrwert bringt? Ein einfaches Commitment, dass Ihre Mitarbeiter Bescheid geben, wenn sie mit einer Aufgabe allein nicht zurechtkommen, wäre doch ein erwachsener Weg in Richtung Verantwortungsübernahme und Zielerreichung. Das ist allemal besser, als sie versteckt wissen zu lassen, dass sie nicht in der Lage sind, ihre fachliche Entwicklung im Sinne des Unternehmens selbst voranzutreiben und all die anderen unerwünschten Nebenwirkungen von Zielvereinbarungen über sich ergehen zu lassen. Und das jedes Jahr neu.

 

Im nächsten Artikel erfahren Sie, warum Meetings die moderne Form des Stundenplans sind.



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