Wirksam führen – nicht mehr, nicht weniger
- felicitasjungnitsc
- 25. Aug.
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 5. Sept.
Unzählige Ratgeber empfehlen Führungskräften, ihre Mitarbeiter zu motivieren, damit sie gute Ergebnisse liefern.
Das ist Unsinn.
Mitarbeiter brauchen kein Motivationsgehampel ihrer Führungskraft. Mitarbeiter brauchen andere Dinge, um gute und sehr gute Arbeit zu leisten. Schauen wir uns drei wesentliche Elemente wirksamer Führung an, die Ihre Mitarbeiter von selbst motiviert halten: Herausforderung, Kontakt und Vertrauen.
Zwischen Langeweile und Überlastung
So wie ein Unternehmen passende Mitarbeiter braucht, brauchen Mitarbeiter passende Aufgaben. Denken Sie an Ihren Arbeitsalltag: Wie oft tun Sie Dinge routiniert? Wie häufig sind Sie mit herausfordernden Themen konfrontiert? Wann können Sie in ein Lieblingsprojekt so richtig tief eintauchen und es voranbringen? Und wenn Sie frei wählen könnten, würden Sie den ganzen Tag nur Routineaufgaben erledigen, lieber eine Herausforderung nach der anderen meistern oder ausschließlich an Ihrem Lieblingsprojekt arbeiten?
Wahrscheinlich geht es Ihnen wie den meisten Menschen: Sie wünschen sich einen Mix aus allen drei Varianten, weil Sie wissen, dass nur ein Bereich allein Sie nicht glücklich machen würde. Sie würden sich entweder langweilen oder in völliger Überforderung untergehen. Und Ihr Lieblingsprojekt wäre schnell keines mehr.
So geht es vielen Mitarbeitern. Sehr vielen. In der Arbeitszufriedenheits-Studie 2024 von YER Deutschland gaben 42 % an, dass sie sich in ihrem Job unterfordert fühlen und ihr Potenzial gar nicht oder nicht richtig ausgeschöpft wird. 40 % waren der Meinung, dass sie ihren Fähigkeiten entsprechend eingesetzt und mit ihren aktuellen Aufgaben umfassend ausgefüllt sind. Als überfordert schätzten sich 16 % der Befragten ein. Das bedeutet, dass sich 58 % der Befragten in einem Arbeitsumfeld bewegen, in dem sie nicht adäquat eingesetzt sind.
Halten wir kurz inne und lassen diese Zahlen wirken. Mitarbeiter, die längerfristig überfordert sind, resignieren, ziehen sich zurück oder brechen zusammen, während sich 42 % der Mitarbeiter über neue oder ergänzende Aufgaben freuen und zu einer produktiveren Form finden würden. Diese Mitarbeiter werden bezahlt, ohne dass ihre Arbeitskraft voll genutzt wird. Ressourcen werden vergeudet, weil nicht gegengesteuert wird. Die kaum zu beziffernden Schäden hinsichtlich geringer Motivation, Krankmeldungen aufgrund von Boreout, Burnout u. Ä., Kündigungen sowie ungenutzter Ideen, die vor lauter Frust nicht geteilt und umgesetzt werden, gehen mit Unter- und Überforderung einher. Das ist betriebswirtschaftlich ein Desaster!
Holen Sie Ihre Mitarbeiter deshalb schnell aus der Über- und Unterforderung heraus. Hinein in eine gute Mischung aus Routinearbeiten, herausfordernden Aufgaben und, wenn möglich, dem einen oder anderen Projekt abseits des üblichen Tagesgeschäftes. Dieser Mix fordert Ihre Mitarbeiter, gestaltet deren Arbeit abwechslungsreich und ist ein wesentlicher Pfeiler für die Zufriedenheit im und die Identifikation mit dem Unternehmen.
Doch bevor Sie jetzt wild Stellen und Aufgaben durcheinanderwirbeln, gehen Sie lieber in den Austausch. Fragen Sie Ihre Mitarbeiter, wo sie ihre Stärken sehen, welche Aufgaben und Projekte sie gerne bearbeiten würden und welche ungenutzten Potenziale vorhanden sind. Manchmal reichen schon kleine Spezialaufträge, um den Mitarbeiter herauszufordern: ein Polnischmuttersprachler im Filialbetrieb übersetzt ein Dokument eines Handelspartners, dass Sie sonst teuer beim Übersetzungsbüro in Auftrag geben müssten. Ein Quereinsteiger, der früher als Koch gearbeitet hat, wird um seine Einschätzung zum Speisenangebot der geplanten Betriebskantine gebeten. Der Mitarbeiter, der in seiner Freizeit in einer Band spielt, bekommt eine Anfrage, ob er auf einer wichtigen Kundenveranstaltungen auftreten kann. Sie werden überrascht sein, welche positiven Auswirkungen solche Spezialaufträge haben.
Das alles kann jedoch nur stattfinden, wenn Sie Ihre Mitarbeiter kennen. Und dafür braucht es den persönlichen Kontakt.

Kein Gespräch, keine Führung
Nur wer im Kontakt bleibt, bemerkt es, wenn sich Mitarbeiter verändern, weil sie aus einer gesunden Auslastung in eine Über- oder Unterforderung rutschen. Ebenso erfahren Sie in Gesprächen viele kleine oder größere Details über Ihre Mitarbeiter und die Stimmung im Team. Und gute Ideen werden nur dann mit
Ihnen besprochen, wenn Sie sich Zeit für Ihr Gegenüber nehmen.
Deshalb ist es eine gute Investition in die Entwicklung Ihrer Abteilung, Räume für Austausch zu schaffen und sich Zeit für Gespräche zu nehmen. Gespräche beinhalten einerseits das Zuhören, andererseits das Teilen eigener Ansichten und Erlebnisse. Und sie sind frei von pauschalen und ungebetenen Bewertungen.
Es müssen nicht Stunden über Stunden sein, die Sie jede Woche in Gesprächen verbringen. Oft sind es die spontanen Treffen in der Kaffeeküche oder kurze Tür-und-Angel-Gespräche, die das gemeinsame Band stärken. Dabei geht es darum, einander wahrzunehmen und neben beruflichen Themen durchaus auch mal eine private Frage zu stellen: wohin es in den Urlaub geht, wie das Wochenende war, wie der Mitarbeiter seinen Kaffee am liebsten trinkt und wo er seine Mittagspause verbringt. Und ja, auch Fragen nach der Familie werden oft positiv aufgenommen. Denn Ihre Mitarbeiter möchten von Ihnen „gesehen“ werden. Und genau diese kleinen Infos geben Ihnen Anknüpfungspunkte für ein nächstes Gespräch.
Das klingt erstmal alles ziemlich künstlich. Worauf wir hinauswollen, ist ein Miteinander auf Augenhöhe, unabhängig davon, ob Sie sich Duzen oder beim Sie bleiben. Im Grunde geht es um Ihre Haltung gegenüber Ihren Mitarbeitern. Um Interesse an den fachlichen Rahmenbedingungen, in denen sie sich bewegen und auch um eine Prise persönlichen Austausch. Ihre Mitarbeiter spüren, ob sie echtes Interesse und echte Zeit von Ihnen bekommen oder nebenbei abgespeist werden. Das bedeutet auch, nicht immer wieder zwischendurch aufs Handy oder den Laptop zu schauen. Und sich auch mal mehr Zeit für den Mitarbeiter zu nehmen, wenn es nötig ist, auch wenn die Zeit drängt.
Hier ein Best-of vermeintlich zeitsparender Abkürzungen im Miteinander:
Standard-Mails statt Dialoge.
Ein flaches „Top gemacht“ ohne inhaltlichen Bezug zu Aufgabe und Leistung.
Likes im Intranet als Ersatz für echtes Feedback.
Ein jährliches Pflichtgespräch als weitgehend einziger Kontaktpunkt, der über „Guten Morgen“ und „Wo bleibt Datei XY?“ hinausgeht.
Vertröste-Floskeln wie „Machen wir später“, ohne jemals wieder proaktiv darauf zu sprechen zu kommen – der Mitarbeiter kann sich ja melden.
Nur Kontakt suchen, wenn vom Mitarbeiter ein Problem zu lösen ist.
Wer so mit seinen Mitarbeitern umgeht, erstickt jede Bindung. Und verkauft sie für dumm. Oder würden Sie es nicht merken, wenn Ihr Gesprächspartner nebenbei seine E-Mails checkt?
Eine Führungskraft, deren „Tür“ die meiste Zeit für ihre Mitarbeiter offensteht und die auch regelmäßig bei ihnen vorbeischaut, bleibt fast automatisch im Kontakt. Und ja, wir sind dafür, dass Führungskräfte keine eigenen Büros haben. Weil die allermeisten Themen nicht so brisant sind, dass sie vor neugierigen Mitarbeiterohren geschützt werden müssten. Weil echtes Teamgefühl im Miteinander entsteht und nicht beim Anklopfen und Warten. Weil Sie nur dann wirklich wissen, was in Ihrer Abteilung läuft, wenn Sie mittendrin statt nur gelegentlich dabei sind. Und weil Mitarbeiter meist nur dann besonders neugierig sind, wenn sie das Gefühl haben, nicht im Bilde zu sein über die Themen, die sie betreffen.
Kommen wir nochmal kurz auf den Faktor Zeit zu sprechen. Ihre Arbeitstage sind voll und Zeit ist wahrscheinlich häufig Mangelware. Umso wichtiger ist es, dass sie richtig eingesetzt wird.
Keine Sorge, jetzt kommen keine Zeitmanagementtipps, wie Sie Ihren Tag noch straffer takten können, um den Output zu erhöhen. Dafür eine wichtige Frage: Mit welchen Mitarbeitern verbringen Sie Ihre wertvolle Zeit am häufigsten: mit den Problemfällen oder den Leistungsträgern?
Wenn es die Leistungsträger sind: Herzlichen Glückwunsch zu dieser guten Entscheidung!
Sind es die Problemfälle, dann fragen Sie sich gerne, ob es Sinn macht, die schwächsten und schwierigsten Mitarbeiter zu hofieren, während die Stärksten vernachlässigt werden. Drehen Sie das Verhältnis, wer wieviel von Ihrer Zeit bekommt, einfach um. Wer wirksam führen will, muss den Schwerpunkt dort setzen, wo die eigentliche Leistung entsteht. Nicht dort, wo am wenigsten rauskommt. Oder würden Sie dauerhaft tatenlos zusehen, wenn Ihr Chef sich ständig um die Problemmitarbeiter kümmert und Ihre tollen Leistungen übersieht?
Vertrauen nüchtern betrachtet
Das Thema Vertrauen war in den vergangenen Jahren sehr oft im Fokus und hat eine emotionale Einordnung erfahren, die es einem verleiden kann, sich damit auseinanderzusetzen. Vertrauen ist weder eine geheime Superkraft noch ein Präsent, dass Sie jemandem überreichen müssen. Vertrauen entwickelt sich oder eben nicht.
Damit es sich entwickeln kann, braucht es einen Rahmen und einen ersten Schritt von Ihrer Seite.
Der Rahmen ist wichtig, denn Vertrauen ist nicht universell, sondern auf einen bestimmten Bereich bezogen. Ihr Auto vertrauen Sie zur Reparatur einem Automechaniker an, Ihrem Partner den Zugriff auf Ihr Konto. Umgedreht werden Sie das jeweilige Vertrauen eher nicht aufbringen. Oder mit unliebsamen Überraschungen wie einem zerlegten Auto und einem leeren Konto rechnen müssen. Und so ist es auch im Arbeitsleben: Vertrauen entsteht und besteht häppchenweise, je nach Aufgabenfeld und Fähigkeiten Ihrer Mitarbeiter.
Ihren ersten Schritt in Richtung einer Vertrauensbeziehung zu jedem Ihrer Mitarbeiter braucht es, damit überhaupt etwas in Gang kommt. Und als Führungskraft ist es Ihr Job, an dieser Stelle tatsächlich die Führung zu übernehmen und diesen ersten Schritt zu wagen. Besonders deutlich wird das bei einem neuen Teammitglied: Sie händigen einen Büroschlüssel und Zugangsdaten zu Ihren Systemen aus, teilen erste wichtige Informationen zum Arbeitsbereich – und hoffen, dass mit all diesen anvertrauten Dingen ordentlich umgegangen und Ihr Vertrauen nicht missbraucht wird.
Jetzt kann das wechselseitige Vertrauensspiel beginnen. Ihr neuer Mitarbeiter liefert erste Ergebnisse, die Sie dazu bewegen, ihm weitere Informationen und Aufgaben anzuvertrauen. Und er vertraut darauf, dass Sie die Ergebnisse richtig bewerten können. Dieser Prozess benötigt Zeit und kann nicht beschleunigt werden.
Wenn es gut läuft, haben Sie Ihre Kontrollmechanismen gegenüber Ihrem neuen Mitarbeiter irgendwann deutlich heruntergefahren und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit ist entstanden.
Doch was machen Sie, wenn sich Vertrauen nicht entwickelt oder nicht ausreichend wächst? Dann beenden Sie die Zusammenarbeit – ohne Vertrauen ist es nämlich keine Zusammenarbeit, sondern ein Katz-und-Maus-Spiel aus Misstrauen, Absicherungsmechanismen und Kontrolle. Es raubt nur Zeit und Nerven und bringt kein Geld ein.
Sehen Sie Vertrauen als eine Art Schmiermittel für die Zusammenarbeit. Es ermöglicht Kooperationen und Ergebnisse, die ohne seine Anwesenheit nicht möglich wären.
Und lassen Sie sich nicht einreden, dass die Kontrolle der natürliche Feind des Vertrauens wäre. Es braucht im Arbeitsleben beides – Sie müssen nur das individuelle Gleichgewicht zwischen beiden herstellen.
Verwendete Quelle:
YER Deutschland: Arbeitszufriedenheits-Studie 2024. Hochzufrieden, aber unterfordert, 2024.
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