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Meetings: der moderne Stundenplan

Was haben Meetings mit einem Stundenplan aus der Schule zu tun? Mehr, als wir im ersten Moment glauben.


Schaut man in die Kalender von Mitarbeitern und Führungskräften, findet man Morning Meetings, Tagesbriefings, Weekly Reports, Teammeetings, Jour Fixes, Projektmeetings, Managementabstimmungen und dergleichen mehr. Zusätzlich sind Vor- und Nachbereitungszeiten, ein paar Minuten zum Durchschnaufen und meist auch eine Mittagspause eingeplant. Alles ist fein getaktet und strukturiert wie der wöchentliche Stundenplan eines Schülers.


Will man ein längeres Gespräch mit einem Mitarbeiter führen, heißt es gerne: „Moment, ich schaue kurz im Kalender, ob etwas ansteht“ oder „Am Soundsovielten habe ich um 11:30 Uhr noch einen freien Slot zur Verfügung“. Und auch andersherum sieht es ähnlich aus. Will ein Mitarbeiter etwas mit seiner Führungskraft besprechen, sind spontane Gespräche eher die Ausnahme, weil der Kalender vor Terminen, bevorzugt Meetings in all ihren Ausprägungen, regelrecht überquillt. Normale Gespräche, die mehr als 5 Minuten Zeit in Anspruch nehmen, müssen terminiert werden. Spontan Zeit zu haben scheint ein Relikt aus grauer Vorzeit geworden zu sein.


Auch die Inhalte all der Meetings haben etwas schulhaftes an sich. Die Arbeit wird in Lerneinheiten zerlegt: Rückblick, Status quo, Ausblick, Reflexion. Jeder weiß, wann über Thema X oder Problem Y gesprochen wird. Aber kaum jemand kann sagen, wann die nötigen Entscheidungen fallen.


Die Taktung der Arbeitstage und -wochen verschafft allen das Gefühl von Aktivität, ersetzt aber oft das Handeln selbst. Meetings dienen nicht mehr der Steuerung und dem Vorankommen in einer Sache, sondern der Betreuung. Man sitzt nett zusammen und spricht über die Arbeit, anstatt sie zu tun. Ist das noch Zusammenarbeit oder nicht vielmehr Unterrichtsvorbereitung?


Die Teilnahme an Meetings wird ebenso schulartig behandelt. Abwesenheit gilt als Verstoß gegen die Gruppennorm. Wer sich entzieht, muss sich rechtfertigen. Wer nicht kann, braucht eine gute Entschuldigung. Und alle müssen bleiben, bis die Schulglocke läutet und das Meeting zu Ende ist. Die eigene Anwesenheit wird zur Pflicht, die Teilnahme zum Beweis von Engagement.


Macht das alles Meetings zu einem wertvollen Baustein in der Unternehmensführung und -entwicklung? Und was vermitteln wir unseren Mitarbeitern, wenn wir als Führungskraft diese Art von Meetingkultur leben und einfordern?


Stuhlkreis statt Verantwortung


Über den Meetingwahnsinn und seine unsichtbaren Folgen und Kosten haben wir bereits geschrieben, doch die schulhafte Wirkung von Meetings gibt dem ganzen noch einen weiteren Dreh: sie erzeugt Stuhlkreise, statt Verantwortungsübernahme zu ermöglichen.


Schauen wir uns aber erstmal den ursprünglichen Zweck von Meetings an. Meetings sind dazu da, um:


  • Informationen zu synchronisieren,

  • gemeinsame Entscheidungen zu treffen,

  • Abhängigkeiten zwischen Aufgaben zu klären und

  • Verantwortung dort zu verankern, wo sie hingehört – zu denen, die entscheiden können, entscheiden möchten und das schlussendlich auch tun.


Das heißt, Meetings sind Orte der Entscheidungsarbeit. Sie sollen den Raum geben, um gemeinsam etwas zu entscheiden, was keiner allein entscheiden kann. Sie sind hingegen keine Orte der Beteiligung von Hinz und Kunz, mit dem Ziel, dass sich möglichst niemand ausgeschlossen fühlt.


Das klingt erstmal hart, trifft aber den Kern des heutigen Meetingdilemmas. Denn Meetings sind häufig Ersatzhandlungen, um fehlende Strukturen an anderen Stellen zu kompensieren: sie befriedigen das Bedürfnis nach Austausch, Zugehörigkeit oder Status – ohne dass ein ökonomischer Mehrwert entsteht. Das daraus ein unübersichtlicher Meetingwildwuchs erwächst, versteht sich von selbst, schließlich will jeder irgendwie dazugehören. In den Köpfen vieler Mitarbeiter hat sich verankert: je mehr Meetings man hat, umso wichtiger ist man.


Wie ist das in den Meetings, an denen Sie teilnehmen? Ist Ihre Anwesenheit überall erforderlich, weil Ihr Knowhow und Ihre Entscheidungsbefugnisse benötigt werden? Werden Entscheidungen getroffen und tragen die Teilnehmer die Verantwortung für die Folgen? Oder wird eher „reportet, gebrainstormt und upgedatet“ – und am Ende des Meetings gibt es wieder kein Ergebnis?


Meetings sind keine Therapie


Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Lungenentzündung. Sie gehen zum Arzt, lassen sich untersuchen und ein Medikament verschreiben. Nach einer Woche gehen Sie zum vereinbarten Kontrolltermin, ein zweiter Kontrolltermin folgt 7 Tage später. Ihr Arzt ist mit Ihrem Genesungsverlauf zufrieden. Eine Woche später stehen Sie bester Gesundheit wieder bei ihm auf der Matte, um über die letzten Tage zu berichten. Auch die Woche darauf sitzen Sie wieder vor ihm und erzählen, dass es Ihnen gut geht. Ihr Arzt schaut Sie überrascht an und fragt Sie, was Sie bei ihm wollen – Sie sind doch gesund und brauchen nichts von ihm. Und sein Wartezimmer ist voller Patienten, die gesundheitliche Probleme haben, bei denen er helfen könnte, während er seine wertvolle Zeit damit verbringen soll, Ihren Ausführungen zu lauschen. Sie mögen doch bitte nur dann erneut zu ihm kommen, wenn er Ihnen als Arzt helfen kann.


Sie finden, der Arzt hat vollkommen richtig gehandelt? Und Sie fragen sich, warum wir Sie zu diesem merkwürdigen Gedankenspiel eingeladen haben?


Weil der geschilderte Ablauf wunderbar auf Meetings übertragen werden kann. Aus einer eingangs sinnvollen Sache wird ein fester Termin, der nicht mehr hinterfragt, sondern einfach durchgeführt wird. Selbst wenn er keinen Nutzen mehr bietet. Solange, bis einer der Beteiligten sagt „Wir brauchen den Termin nicht mehr. Es gibt aktuell nichts zu besprechen. Wir treffen uns wieder, wenn es etwas zu klären und zu entscheiden gibt.“


Machen Sie es mit Ihren Meetings wie der Arzt: Fragen Sie sich, ob das Meeting einen Nutzen hat – für Sie, für Ihre Mitarbeiter, für Ihr Unternehmen und Ihre Kunden. Wenn nicht, streichen Sie es.


Meetings - die Krücke der Unsicherheit


Wir haben es schon anklingen lassen: viele Meetings sind ein Symptom unklarer Strukturen und Verantwortungsbereiche geworden, sowohl in den einzelnen Abteilungen als auch abteilungsübergreifend. Den Mitarbeitern fehlen oft klare Handlungsrahmen und die Beantwortung der Fragen „Welchen Entscheidungsspielraum habe ich? Was darf ich wann und in welchem Rahmen eigenständig entscheiden? Und ab wann braucht es Rücksprachen und Freigaben von anderen?“. Meetings bilden einen kompensierenden Rahmen für diese Unsicherheit. Man bleibt am Thema dran, aber muss nichts entscheiden und kann die Verantwortung abgeben.


In der Folge haben Sie als Führungskraft das Thema samt der Verantwortung auf dem Tisch, ob Sie wollen oder nicht. Stoppen Sie dieses Mikromanagement und diese Art der Mitarbeiter(denk)betreuung. Geben Sie Ihren Mitarbeitern besser den Handlungsrahmen und die erforderlichen Entscheidungsbefugnisse, die sie für eigenverantwortliche Arbeit so dringend benötigen.


Auch bei abteilungsübergreifenden Themen sorgen konkrete Zuständigkeiten, eindeutige Handlungsrahmen und klare Prioritätensetzung für ein zielgerichtetes kooperatives Handeln aller Beteiligten. Die meisten Meetings können dann entfallen und man versammelt sich nur noch, wenn es wirklich gemeinsamen Abstimmungs- und Entscheidungsbedarf gibt.


Wenn der Kalender zur Bremse wird


Einen letzten Punkt wollen wir noch kurz beleuchten: Probleme und Klärungsbedarf entstehen in Echtzeit und nicht im Meetingrhythmus. Manche Themen können gesammelt und im Meeting besprochen und entschieden werden. Eine Vielzahl an Themen und Problemen braucht jedoch eine schnellere Reaktionszeit und kann nicht bis zum nächsten Meeting warten. Starre Meetingstrukturen und fehlende Möglichkeiten für Ad-hoc-Gespräche machen Ihre Abteilung und das gesamte Unternehmen unflexibel und behäbig. Ein Kunde mit einem Problem wird kaum verstehen, warum er eine Woche auf die Problemlösung warten muss, nur weil das entsprechende Meeting kurz vor seinem Anruf stattfand und das nächste erst in 7 Tagen erfolgt.


Zeitlich drängende Themen wie spezielle Kundenprobleme sollten dann besprochen werden, wenn sie auftreten, nicht erst dann, wenn der Kalender es erlaubt. Hier zeigt sich sehr schön, ob die eigene Meetingkultur ihren Sinn noch erfüllt oder nur noch der Aufrechterhaltung eines Kommunikationsrituals dient. Denn am Ende zählt nicht die Regelmäßigkeit eines Treffens, sondern der Beitrag zur Wertschöpfung.


Darum ist es sinnvoll, Meetings immer mit einem Ablaufdatum zu versehen: „Wenn wir Ziel X erreicht haben, ist diese Meetingserie beendet.“ So laufen Sie nicht Gefahr, ein Meeting ohne Sinn nur aus Gewohnheit bis zum Sankt Nimmerleinstag weiterzuführen.

 

Lassen Sie Meetings wieder das sein, was sie ursprünglich waren: wohldosierte Foren für gemeinsame Abstimmungen und Entscheidungen.

 

 

In unserem nächsten Artikel erfahren Sie, warum Führung keine Betreuung ist und was passiert, wenn man sie dazu macht.



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